Kein Zählen Ohne Wählen. ChatGPT und menschliche Sprachkompetenz
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- hochgeladen 29. Oktober 2024
In jüngerer Zeit wird sprachliche Performanz als zählendes und rechnendes Verfahren wissenschaftlich modelliert (= gebrauchsbasierte kognitive Linguistik, vgl. Janda 2013) und technisch implementiert (= maschinelles „Sprach“„lernen“, z. B. ChatGPT). Im Vortrag wird die These expliziert, dass es der kriteriengeleiteten Auswahl und Begründung der Einheiten des Zählens und des Rechnens bedarf, bevor sprachliche Performanz als sprachliche Performanz in der Form von Zählen und Rechnen modelliert beziehungsweise implementiert werden kann.
Die menschlichen Sprachen haben gemeinsame grammatische und semantische Strukturen und variieren untereinander innerhalb angebbarer Parameter. Dass die Sprache diese und keine – durchaus denkbaren – anderen Strukturen hat und zugleich nur beim Menschen vorzufinden ist, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Strukturmerkmale der Sprache ans Menschsein, und das heißt, an bestimmte Aspekte seiner körperlichen (Embodiment) und kultürlichen (Technik[en], Institutionen etc.) Daseinsform gebunden sind. Die Gestalt und Leistungen der Sprache würden sich demnach der spezifischen Zugangsweise des Kultur- und Naturwesens Mensch zu seiner Umwelt und Mitwelt verdanken. Auch wenn die Ablösung bestimmter Aspekte sprachlicher Performanz vom menschlichen Träger und ihre maschinelle Implementierung bereits Wirklichkeit sind, würde die Richtigkeit des Gesagten implizieren, dass die Maschine, müsste sie Sprache aus sich heraus (und nicht am Modell aufbereiteten menschlichen Textoutputs) entwickeln, notwendig eine von der menschlichen strukturverschiedene „Sprache“ hervorbringen würde. Die Qualität der menschlichen Daseinsform würde danach den Kriterienkatalog für die möglichen (und unmöglichen) Strukturmerkmale der Sprache liefern; wechselseitiges (Sprach-)Verstehen in einer allen kooperativen Praxen adäquaten „Tiefe“ könnte nicht unabhängig von der Qualität der menschlichen Daseinsform hergestellt werden.
Insofern also beim wissenschaftlichen Modellieren und maschinellen Implementieren mittels quantitativer Verfahren am Modell (situationsentbundenen) menschlichen Textoutputs sprachliche Performanz als sprachliche Performanz angezielt wird, wird die gesamte Kriterienwahl, die dem Struktur- und Leistungsaufbau der menschlichen Sprache inhäriert, bereits vorausgesetzt, in die Modellierung investiert oder, aus anderer Perspektive, schlicht übergangen.
Im Vortrag werden eine Reihe wesentlicher grammatischer und semantischer Strukturmerkmale und Operationen skizziert, die an die Leiblichkeit des Menschen gebunden sind.
Simon Kasper
Lizenz: Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)