Zur doppelten Asymmetrie von konstativer und performativer Anthropomorphisierung und Technomorphisierung
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- hochgeladen 18. Oktober 2024
Den Vortrag habe ich auf der Tagung "Mensch Metapher Maschine. Das Selbst im Spiegel der Technik | Die Technik im Spiegel des Selbst" gehalten. Sie fand an der Uni Luxembourg statt (14.-15.10.24) und wurde von Christoph Purschke, Ralf Becker und mir organisiert.
Thematischer Rahmen der Tagung:
Die Tagung thematisiert die wechselseitig aufeinander bezogenen Prozesse der Technomorphisierung des Menschen und der Anthopomorphisierung der Technik. Urheber dieser Gestaltungen ist jeweils der Mensch selbst. Wir sind bekanntlich das Lebewesen, das sich ein Bild von sich selbst macht oder machen kann. Unter welchen historischen, sozialen und technischen Bedingungen Menschen dies tatsächlich tun, ist eine offene, empirische Frage. Außer Frage steht jedoch, dass menschliche Selbstbilder, wo sie zum Ausdruck kommen, so wandelbar sind wie die Bedingungen, unter denen der Mensch lebt. Der Mensch, der sich fragt, was er sei, stellt diese Frage im Bewusstsein seines eigenen Abgesetztseins von etwas, dem er sich gegenüber sieht, das nicht er ist und in Auseinandersetzung mit dem er sein Selbst bildet. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Alten Testament ist dafür ein Beispiel unter vielen.
Der vielleicht bedeutendste jüngere Typus eines Gegenübers, der den neuzeitlichen Menschen für die Selbstbildung herausfordert, ist die Technik. Der neuzeitliche Mensch formt sein Selbstbild am Modell der jeweils das öffentliche Leben, den öffentlichen Diskurs und die wirtschaftlichen Produktionsbedingungen dominierenden technischen Innovationen. So begriff sich der frühneuzeitliche Mensch, zumindest in seinen materiellen Anteilen, als Maschine und imaginierte seine organismischen Funktionen am Modell der zeitgenössischen mechanischen Geräte, durch deren Rohre Flüssigkeiten gepumpt werden und deren Gelenke sich durch Kronradgetriebe bewegen. Später kam der Dampf hinzu. Spätestens mit der Ankunft des Computers in privaten Haushalten haben viele von uns sich selbst gut cartesianisch als Hardware (res extensa) konzipiert, auf der Softwares (res cogitans) laufen. Dass ‘Informationen im Gehirn gespeichert’ werden, ist fester Bestandteil des Sprachgebrauchs von vielen, und dass Bewusstseinsinhalte demnächst in die Cloud hochgeladen werden, scheint vielen möglich. Jüngst werden wir durch die sog. generativen künstlichen Intelligenzen derart herausgefordert, dass wir uns fragen, ob unsere eigenen Fähigkeiten der Hervorbringung von Sprache und anderen symbolischen Formen nicht selbst auf probabilistischen Operationen beruhen. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Tendenz zur Technomorphisierung des menschlichen Selbstbilds durch den Menschen selbst konstatieren. Im aktuellen Hype um KI und ihre ökonomische Valorisierung geht damit eine (symbolische wie praktische) Abwertung originär menschlicher Leistungen gegenüber technisch vermittelten einher.
Die Diagnose der Technomorphisierung menschlicher Selbstbilder bleibt also unvollständig ohne den korrelativen Prozess der Anthropomorphisierung der Technik. Ein kurzer Blick auf aktuelle Sprachgebräuche ergibt, dass Computer als Kombinationen aus Hardware und Software ‘rechnen’, Korrekturen ‘vorschlagen’, Menschen an Termine ’erinnern’ und sich ‘weigern’, Befehle auszuführen; und wenn man Berichten in Presse und Wissenschaft glaubt, dann ‘sprechen’, ‘denken’, ‘antworten’, ’erkennen’, ‘beraten’, ’lügen’ und ‘halluzinieren’ die sog. generativen künstlichen Intelligenzen sogar, und sie tun anscheinend noch vieles mehr, was auch Menschen tun. Mögliche Leitfragen für Beiträge Die Tagung thematisiert disziplinär offen solche Fragen, die mit den Prozessen der Technomorphisierung des Menschen und/oder der Anthropomorphisierung der Technik befasst sind.
Der Vortrag
Im Vortrag diskutiere ich anhand typischer Beispiele die Zuschreibungen, die im Spiel sind, wenn wir unser Gehirn, sogenannte Künstliche Intelligenzen, Artefakte oder Tiere anthropomorphisieren und wenn wir uns selbst am Modell von Computer und KI technomorphisieren. Ich argumentiere dafür, dass wir es dabei mit einer doppelten Asymmetrie zu tun haben: erstens zwischen der Art und Weise, wie wir die genannten "Objekte" darstellen auf der einen Seite, und der Art und Weise, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten auf der anderen Seite; und zweitens zwischen den Aktivitäten der Anthropomorphisierung und der Technomorphisierung, die mitnichten symmetrische metaphorische Zuschreibungen darstellen. Ich zeige, dass die Art und Weise, wie große Teile von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit "anthropomorphisierend" über das Gehirn, über KI, über Tiere und technomorphisierend über uns als Menschen und unsere Teile (wieder das Gehirn) sprechen, mit ernsten philosophischen Problemen verbunden ist, und ich benenne, was nötig wäre, um die problematischen Konsequenzen zu vermeiden.
Prof. Dr. Simon Kasper
Institut für Germanistik
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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